Die Eröffnungsparty im alten JUZ Bockenheim in Frankfurt am Main ist vorbei. Jetzt beginnt für die Initiative »Faites votre Jeu« der Besetzeralltag

Es scheint, als ob die Luft vor lauter Euphorie vibriert. Überall im neu besetzten alten Jugendzentrum (JUZ) Bockenheim in der Varrentrappstraße 38 in Frankfurt am Main wird gewerkelt, debattiert, Besucher werden im Haus herumgeführt. Eine Sprecherin der Hausbesetzerinitiative »Faites votre Jeu« (Macht euer Spiel) zeigt den Keller: Hier soll ein Sportraum entstehen. In einem anderen Zimmer stapeln sich Computerbildschirme. Später sollen sie für die Arbeit im Medienraum zur Verfügung stehen. Ein Fotolabor soll eingerichtet werden, einer der Aktivisten wünscht sich ein Atelier, endlich einen Raum zu haben, der groß genug ist, um eine Staffelei darin aufzustellen. In kleinen Gruppen wird beraten, wie es weitergehen soll. Entscheidungen werden kollektiv getroffen: Alle jungen Leute, die gerade im Haus sind, hauptsächlich Schüler, Auszubildende und Studenten zwischen 15 und 25 Jahren, nehmen an regelmäßigen Plena teil. Dort werden alle wichtigen Dinge von den jeweils anwesenden Teilnehmern festgelegt, zum Beispiel wie das künftige Kulturprogramm aussehen soll. Der erste Vortrag wurde bereits gehalten. Titel: »Zur Kritik der Nation – ein theoretischer Entwurf«. Die Veranstaltung sei erstaunlich gut besucht gewesen, sagt eine 18jährige Sprecherin, die wie alle anderen Besetzer ihren Namen nicht preisgibt, solange die Anzeige wegen Hausfriedensbruch noch gegen die Besetzer läuft. Ein anderer Sprecher (23) ergänzt: Das seien keine Vorträge nach dem Motto »Der Prof spricht, und es wird dazu geschwiegen und mitgeschrieben«. Im Gegenteil: »Wir scheuen nicht den Dialog, sondern wir wollen ihn führen.«

Noch geben sich die Besetzer bedeckt, doch ihr neues Kulturzentrum kommt an

Die Aktivisten haben das Haus als Kulturzentrum konzipiert, »um die Freiheit der Kunst gegen kommerzialisierte Langeweile zu setzen«, wie sie sagen. Die Idee, zu besetzen, sei ihnen allerdings erst gekommen, nachdem sie vergebens bei der Stadt Frankfurt am Main und der Universität um preiswerte Räume für ihre künstlerische Arbeit nachgefragt hätten. Wohnraum sollte hier eigentlich nicht geschaffen werden. Gleichwohl ist das Zentrum derzeit auch nachts belebt. Aber das hat andere Gründe. So will man sich vor eventuellen Übergriffen der Polizei schützen.

Zwei Wochen ist es jetzt her, daß die jungen Leute mit einer gut besuchten Eröffnungsparty in der Nacht zum 3. August das alte JUZ Bockenheim in der Bankenstadt besetzt haben. Mehr als 150 Leute feierten zu Technomusik zweier DJs ihren gelungenen Coup übermütig bis in die Morgenstunden. »Die Grünen, neuerdings ganz in Blau, haben unverrichteter Dinge wieder abziehen müssen«, freut sich ein Aktivist. Die Tür sei ihnen verschlossen geblieben.

Das Haus ist nicht das erste Mal besetzt und selbstverwaltet. Vor 30 Jahren hatten hier schon einmal Jugendliche das Sagen. Damals war als Gründungsmitglied des JUZ auch der Polit­aktivist Günter Sare mit von der Partie. 1985 dann kam er bei einer antifaschistischen Demonstration gegen eine NPD-Veranstaltung im Frankfurter Gallusviertel beim Polizeieinsatz zu Tode. Er wurde von einem Wasserwerfer überrollt. An der Vorderfront des Hauses hängt eine Gedenktafel, die an Sare erinnert.

Der 23jährige Sprecher ist stolz darauf, daß dieses Gebäude so geschichtsträchtig ist. Viele ehemalige Hausbesetzer hätten sich bereits blicken lassen und seien sehr angetan davon gewesen, daß hier wieder etwas entsteht. Deshalb steht so mancher der Jüngeren im zweiten Stockwerk versonnen vor der erstaunlich gut erhaltenen Bühne. Und hört in Gedanken die Ehemaligen irgendeiner Hardrock-Band zujubeln. Die Musik hat sich geändert – die Attitüde, geile Musik in selbstverwalteten Räumen als Freiheitssymbol zu genießen, nicht. Kaum einer der fast durchweg jungen Besetzer hat etwas dagegen, ältere Menschen in die Gemeinschaft aufzunehmen. »Interesse an Kunst ist keine Altersfrage«, so der Sprecher.

Der Abend zieht ein, und mit ihm fröhliche Studierende der Johann-Wolfgang-Goethe-Uni und der FH Frankfurt. »Wir haben ja jetzt in Hessen die Studiengebühren abgeschafft, insofern haben wir wieder Energien und Zeit«, ist zu hören. Und: »Wir glauben an Freiräume.« Daß städtische Jugendzentren nicht ausreichen, könne man am Beispiel des neuen JUZ Bockenheim erkennen: »Dort wird, wenn die Sozialarbeiter nach Hause gehen, um 20 Uhr der Feierabend eingeläutet.« Bei den Besetzern geht jetzt der Spaß erst richtig los. Zwei Studentinnen der FH schälen Kartoffeln und schneiden Broccoli, es gibt »Indisches Curry«. »Faites votre Cuisine« heißt es nun, zu deutsch: Macht euch leckeres Essen zu günstigen Preisen. Jeder spendet, soviel er mag und kann.

Junge Welt, 18.08.2008
Von Gitta Düperthal

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