Asylbewerber in Hessen (Foto: FRFOTO)

In der Frankfurter Rundschau ist heute ein längerer Artikel zum Thema Residenzpflicht in Hessen erschienen. Auch wenn auf die aktuelle Wanderausstellung zum Thema im Klapperfeld leider nicht eingegangen, ist der Artikel trotzdem lesenswert.

Residenzpflicht für Asylbewerber

Ein Gefühl wie im Gefängnis

Fahrten zur Familie, zum Arzt, oder zum Einkaufen sind für die meisten alltäglich. Nicht jedoch für Menschen, die asylsuchend oder geduldet sind. Die Opposition im Landtag würde das gern ändern, doch Schwarz-Gelb stellt sich quer.

Frankfurter Rundschau, 09.02.2011 (download pdf)
Von Hannah Eitel

Ein Mann fährt morgens zu seiner Arbeitsstelle, die nicht in dem Regierungsbezirk liegt, in dem er wohnt. Dort kontrolliert ihn die Polizei. Er muss Strafe bezahlen, schließlich droht ihm eine Haftstrafe von zwei Monaten – weil er mehrmals den Bezirk verlassen hat. Der Mann aus Gmünden, dem das im Jahr 2009 passierte, hatte in Deutschland den Aufenthaltsstatus »geduldet«. Gegen die Strafe legte die Staatsanwaltschaft Marburg Berufung ein, so dass der Verstoß gegen die Residenzpflicht nur als Ordnungswidrigkeit gewertet wurde.

Fahrten zur Familie, zum Arzt, oder zum Einkaufen sind für die meisten alltäglich. Nicht jedoch für Menschen, die asylsuchend oder geduldet sind. Wenn sie ihren Regierungsbezirk in Hessen oder gar das Bundesland verlassen wollen, brauchen sie eine Erlaubnis und eine Begründung.

»Lästig« nennt Gisela Tausch die sogenannte Residenzpflicht. Die Sozialpädagogin berät Flüchtlinge beim Diakonischen Werk Oberhessen. Schüler brauchen eine Genehmigung für Klassenfahrten. »Das ist nicht angenehm für sie, immer so aufzufallen.« Nicht nur Kinder hadern damit, so eingeschränkt zu sein. »Die Leute empfinden es als Gefängnis«, berichtet Tausch. Der Mann aus Gmünden habe es »einfach nicht verstanden«, er wollte nur arbeiten. »Ich tue doch nichts Böses«, habe er gesagt.

Regierung mauert

Die Grünen kritisieren das als nicht verhältnismäßig. Sie stellten jetzt im Landtag einen Antrag, die Residenzpflicht auf ganz Hessen auszuweiten. Das lehnten die Regierungsfraktionen ab.

Die Linke kritisierte im Landtag, dass die Residenzpflicht »Ausländerkriminalität« produziere. Sie schlage sich auf die polizeiliche Statistik nieder. Denn die führe auch Straftaten gegen das Aufenthaltsgesetz und das Asylverfahrensgesetz auf, die allein Ausländer begehen können.

Die Erlaubnis, den jeweiligen Regierungsbezirk zu verlassen, müssen Betroffene bei der Ausländerbehörde beantragen, die für sie zuständig ist. Das sei jedoch nicht so einfach, sagt Timmo Scherenberg vom Hessischen Flüchtlingsrat. Der Antrag koste in manchen Kommunen eine Verwaltungsgebühr. »Wenn man nur 220 Euro im Monat hat, sind 10 Euro verdammt viel.«

Der Sachbearbeiter entscheidet über das Gesuch nach seinem Ermessen. Termine beim Anwalt sind erlaubt, größere Familienfeiern in der Regel auch. Aber Freunde zu besuchen, sei nicht immer drin.

Alexander Bauer, der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Landtag, nennt die aktuell geltende hessische Regelung »bereits sehr großtzügig«, da sie auf die Regierungsbezirke ausgedehnt sei. Vorher galt Bewegungsfreiheit nur auf dem Gebiet der jeweiligen Ausländerbehörde. Die Beschränkung sei weiterhin notwendig, damit das Asylverfahren zügig durchgeführt werden könne.

Die Residenzpflicht ist in Europa einmalig. Kritisiert wird sie auch durch das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen: Die Regelung bringe »erhebliche Härte« für die Betroffenen mit sich und erschwere den Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung. Für eine generelle Einschränkung der Bewegungsfreiheit fehle es »an schlüssigen Gründen«.

Residenzpflicht

Geduldete, die ihren Regierungsbezirk ohne Erlaubnis verlassen, begehen eine Ordnungswidrigkeit und riskieren eine Geldstrafe. Werden sie mehrmals erwischt, droht bis zu einem Jahr Gefängnis.

Bei Asylsuchenden ist bereits der erste Übertritt eine Straftat, die mit Freiheitsentzug betraft wird.

Mehr als 31 Prozent aller Tatverdächtigen im Jahr 2008 waren laut hessischer Kriminalstatistik »Nichtdeutsche«. 25 Prozent bleiben übrig, rechnet man »ausländerspezifische Straftaten«, zu denen auch Verstöße gegen das Aufenthaltsrecht zählen, heraus.

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