Besetzt: Um die von jungen Künstlern wieder hergerichtete Villa an der Varrentrappstraße streiten sich die Frankfurter Modeschule und eine Kulturinitiative. Foto: Winfried Faust

Hausbesetzung: »Gekommen, um zu bleiben« – Frankfurts Schuldezernat spricht von einer »Lösung im gegenseitigen Einvernehmen«

FRANKFURT. Die von der Stadt gesetzte Frist ist gestern abgelaufen, doch ausgezogen sind die Besetzer erst mal nicht. Am 2. August 2008 hatte eine Gruppe junger Künstler und Studenten das Wohnhaus auf dem Gelände der Gutenbergschule an der Varrentrappstraße im Frankfurter Stadtteil Bockenheim in Besitz genommen, um daraus ein selbst verwaltetes Kulturzentrum zu machen.

Das um 1910 entstandene Haus war völlig verwahrlost – abgesägte Wasser und Heizungsleitungen, offen stehende Fenster und jahrelange Vernachlässigung hatten an der früheren Villa des Schuldirektors Spuren hinterlassen. Seit vielen Jahren hatte die Stadt in das leer stehende Gebäude nichts mehr investiert.

»Wir sind gekommen, um zu bleiben« lautet einer der Slogans der Kulturgruppe, die sich nach der traditionellen Croupier-Aufforderung beim Roulette benannt hat: »Faites votre jeu!« – »Machen Sie Ihr Spiel!«. Ihr Spiel treiben die jungen Leute, die vor ihrem Eindringen in das leer stehende Haus monatelang ohne Erfolg nach erschwinglichen Atelier- und Ausstellungsräumen suchten, aktiv und fleißig. Sie haben in Abstimmung mit der städtischen Bauaufsicht das verkommene Gebäude sorgsam wieder nutzbar gemacht, veranstalten fast täglich Musik- und Literaturabende, Vorträge, Diskussionen oder Kunstausstellungen und sorgen sogar für die Hausaufgabenbetreuung von Schülern aus dem Viertel. Ein so dicht gedrängtes Programm haben nur wenige der hoch subventionierten offiziellen Kulturzentren, weiß man in Frankfurt.

Schule braucht Räume

Doch Bürgermeisterin Jutta Ebeling, Frankfurts grüne Schuldezernentin, lässt über den angekündigten Rauswurf nicht mit sich reden. Denn die benachbarte Frankfurter Schule für Bekleidung und Mode hat dringenden Erweiterungsbedarf. Wie Schulleiter Malte Lütjens gegenüber unserer Zeitung betonte, brauchen die 1200 Schüler und 75 Lehrkräfte dringend sechs neue Unterrichtsräume, und die könnten freigemacht werden, wenn die Verwaltung samt Lehrerzimmer und einigen Gruppenräumen in die 200 Quadratmeter der besetzten Villa umzögen, wie seit 2003 angestrebt. Lütjens hat – »im Auftrag der Stadt« Strafanzeige gegen die Kulturgruppe »wegen unbefugten Eindringens« gestellt.

Inzwischen laufen Gespräche mit der Stadt, und Rüdiger Niemann, der für Frankfurts Schuldezernat die Verhandlungen führt, will über eine Räumung durch die Polizei nicht sprechen: »Wir gehen davon aus, dass wir zu einer Lösung im gegenseitigen Einvernehmen kommen werden«. Niemann sucht geeignete Atelier- und Veranstaltungsräume, um sie preisgünstig an das Kulturzentrum weiterzuvermieten.

Vor 30 Jahren

Miriam Kellert, eine der Sprecherinnen des Kulturzentrums, betont die Kompromissbereitschaft ihrer Gruppe, wenn die Vorschläge »unsere Grundanforderungen berücksichtigen, nämlich genügend Ausstellungs- und Atelierräume«. Allerdings würde die Gruppe, wie die Sprecherin gegenüber unserer Zeitung sagte, den Verbleib in dem Haus an der Varrentrappstraße klar bevorzugen: »Dieses Haus war vor 30 Jahren schon einmal besetzt, von Gruppen, aus denen später Teile der Gründungsgeneration der Grünen hervorgegangen sind«.

Keine Gewalt

Auch Jutta Ebeling habe dem Vernehmen nach der Hausbesetzerszene zumindest nahe gestanden. »Umso unverständlicher es, dass sie sich weigert, mit uns auch nur zu sprechen und ständig ihre Mitarbeiter vorschiebt.« Für die Mittzwanzigerin steht fest: »Gewalt ist für uns kein Thema, die lehnen wir strikt ab.« Allerdings werde man sich »nicht ohne Gegenaktionen« in eine Räumung fügen.
Ende der 70er Jahre war die damalige Hausbesetzung friedlich gelöst worden: Aus der Direktionsvilla wurde ein autonomes Jugendzentrum, das von der Politik nicht nur geduldet, sondern sogar gefördert wurde und 2002 an einen anderen Standort im selben Stadtteil umzog. ling


ZWISCHENRUF

Zur Chefin-Sache machen

Frankfurts Schuldezernentin Jutta Ebeling, steckt in einem klassischen Dilemma. Einerseits gehören die Sponti-Hausbesetzungen der 60er und 70er Jahre zu den Gründungsmythen ihrer Grünen-Partei gerade in Frankfurt. Andererseits wird der CDU-Koalitionspartner keine illegale Hausbesetzung hinnehmen, und sei sie so freundlich wie die der Kulturinitiative in Bockenheim.

Kein Zweifel, die Stadtverwaltung hat geschlampt, als sie ein wertvolles denkmalgeschütztes Haus sechs Jahre leer stehen und verkommen ließ. Doch 200 Quadratmeter Schulräume wären für die vorgesehenen 1,5 Millionen Euro durch einen Neubau an anderer Stelle auf dem weitläufigen Gelände deutlich leichter zu schaffen, als in der verwinkelten Villa, die jetzt die Kulturinitiative wieder instand gesetzt hat. Es wäre hoch an der Zeit, dass Bürgermeisterin Ebeling nicht länger delegiert, sondern die Hausbesetzung endlich zur Chefin-Sache macht, um ernsthaft eine Lösung zu finden, die weder auf Kosten der Schule, noch auf die der engagierten jungen Künstler geht.

Denn die würden in Frankfurt nach einem Rauswurf kaum bezahlbare Atelier- und Ausstellungsräume finden.

Eugen Emmerling


Main-Echo Aschaffenburg, 16.01.2009

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